„Mit Handbremse“ nach Ulan-Ude
Die Straße war ebenerdig. Nicht neu, dass sah man an den abgenutzen Markierungen, aber würde man sie auf eBay oder ReBuy verkaufen, wäre es ein „Neuwertig“. Ganz gerade war sie. Die Mitte leicht gewölbt, damit das Wasser des Regens ablaufen kann. Kein Flicken zu sehen. Von Schlaglöchern ganz zu schweigen. Ein Kunstwerk in Grau. Poröse Oberfläche, gebaut, um täglich Hunderte Tonnen an Last zu tragen. So rollte der Polo entspannt einer Ruhepause für das geschundene Fahwerk entgegen.
…und dann sahen wir sie. Mit Camping-Tischchen, Stühlen, thailändischem Tiger-Bier und einem nach Hilfe rufenden Schriftstück am Straßenrand stehend, von einem Schraubenschlüsse vor dem Umkippen gestützt… Team „Yurtin‘ 4 a Squirtin‚“ war liegengeblieben.
Ein kurzer Seufzer ging durch den Inneraum und Blinker setzend näherten wir uns den beiden Jungs und dem Mädel, welches wir bisher nur von Social Media kannten.
Etwa 50 km vor Ulaanbaatar (die zwei Tage entfernte Hauptstadt der Mongolei) hatte die Zylinderkopfdichtung aufgegeben, was dem Antrieb des Suzuki Swift den Dolchstoß versetzte. Sie schafften es zwar, sich und das Auto aus der Mongolei zu befördern, saßen nun aber in Russland fest.
Wir verabschiedeten uns von dem japanisch-kanadischen Motorradfahrer, ebenso wie von der Vorstellung, endlich einmal ausgeruht und pünktlich anzukommen und schnallten das Fremd-Kfz hinter den Raketen-Polo, welcher wieder einmal sein Können unter Beweis zu stellen hatte. Diesmal ging es um die Zugfestigkeit der Heckschürze, sowie der Umsetzung des 45-PS-Triebwerks auf die Straße. Die 145er Rennbereifung fraß sich förmlich in die eingangs blumig erwähnte Fahrbahndecke und so tuckerten wir der Ziellinie in 232km Entfernung entgegen – oft im ersten Gang bergauf.
Ähnlich wie schon an der armenisch-iranischen Grenze wechselte auch hier die Vegetation recht abrupt, wenn auch noch ca. 100 km südlich der aktuellen Grenze in der Mongolei.
Dennoch fuhren wir durch dichteste Wälder auf nahezu perfekter Straße. Wenn auch öfter mal im ersten Gang des geflickte Getriebes, welches gerne mal den Motor übertönte. Die Fenster wurden heruntergekurbelt und die Heizung aufgedreht, um der steigenden Temperatur des Motors Herr zu werden.
Wir haben es geschafft!!!
Schlussendlich erreichten wir Ulan-Ude und lieferten das Team an der Ziellinie ab. Danach ging es ins Hotel zum Umziehen und anschließendem Überqueren des Fotomotivs, was das offizielle Ende der Rally bedeutete.
Wir hatten Glück und bei unserer Ankuft feierten sich einige Teams selbst und gegenseitig, sodass wir direkt durchfahren und uns auf das Podest stellen konnten.
Fahnen wurden geschwenkt, Rauchbomben gezündet und die umstehenden Teams applaudierten. Auch gab es einen Willkommensschal – ein IMHO Buddhistischer Brauch, bei dem dem Gast zur Begrüßung ein Schal umgehängt wird.
Und dann diese Leere…
Das war’s. Aus, aus, es ist aus. Team teilzeitabenteurer.de hat die Mongol Rally 2019 geschafft.
Auf 4.655 m üNN Schnappatmung gehabt. Schon beim Start einmal vom Sommergewitter überrascht worden. > 50 °C im Auto. Die Hand aus dem heruntergekurbelten Fenster fühlte sich an wie der Griff in einen Ofen mit Umluft. Unzählige Wasserflaschen getrunken. Sieben Wochen im Auto gelebt. Steine nach Afghanistan geworfen. Mehrer Kilogramm an Staub eingeatmet. In Turkmenistan mit der lokalen StaSi aneinandergeraten. Alte Freunde wieder getroffen. Neue Freunde gewonnen.
18.697 km Schweiß, Blut und Öl. Wie oft war es eklig, schmutzig, stinkend, laut, staubig, rußig, klebrig, glitschig …
Nicht selten wurde nach dem Warum gefragt. Manches Mal eine kürzere Route in Erwägung gezogen. Nächte verflucht. Bitterlich und Zähne klappernd gefrohren. Hotels mürrisch verlassen.
Es war die Hölle… und ich werde jede Minute davon vermissen.
Vorwärts immer…
Doch nun? Da steht man also. Fein rausgeputzt auf einem Podest. Und weiß gar nicht so recht, was man machen soll. Schließlich lebte man ja quasi nur für den Vortrieb…
Ach was soll’s.
WIR FAHREN DEN POLO DURCH RUSSLAND ZURÜCK!
Nach der Feier ist vor der Feier
Wir standen noch ein wenig mit den Teams zusammen und es wurden noch einige Fotos und Dronenbilder geschossen. Dazu erzählte man sich die absurdesten Geschichten der Reise. Auch musste noch ein wenig Papierkram erledigt werden, war es doch eine offizielle Rally und der Veranstalter war interessiert an dem Verbleib des Kfz.
In großer Runde wurde entschieden, dass wir alle gemeinsam in den örtlichen Irish Pub gehen und das Bestehen der Mongol Rally weiterfeiern wollten. Wir ließen den Polo an der bewachten Ziellinie zurück, schnappten uns ein Taxi und brausten in die Innenstadt, in der noch eine beeindruckend große Lenin-Büste den Marktplatz schmückte. Als Erste im Pub angekommen, stärkten wir uns mit einer interessanten Mischung aus irischer und russicher Fastfood-Küche und gesellten uns zu den anderen, eintrudelnden Teams.
Dem eher unglücklichen Umstand, ein anderes Team 232 km abgeschleppt zu haben, folgte die Ausschüttung von Karmapunkten und es gelang uns, dem Team einen Gefallen abzuringen, sodass Mesi zu Mitternacht noch seinen Geburtstagskuchen erhielt.
Mit lautem Happy-Birthday-Gesang, der zuvor heimlich im Gewühl instruierten Rally Teams, wurde der neue Tag eingeläutet…
Holzfällerromanrik am Baikalsee
Der nächste Morgen war entsprechend träge und wir checkten spät aus unserem Hotel aus.
Der anschließende Raubzug durch den lokalen Supermarkt verzögerte unser Verlassen noch weiter, brachte jedoch das größte Stück Fleisch hervor, das ich je sah!
Über die hervorragenden Straßen Sibiriens rollend fuhren wir Richtung Westen, Richtung Irkutsk. Den Wetterbericht studierend wurde die Idee des Campings am Baikalsee verworfen und wir suchten uns eine Hütte via Airbnb.
Ca. zwei Stunden vor Ankunft, wurde uns jedoch von der Vermieterin mitgeteilt, dass die Hütte anderweitig belegt war und so begann das panische Suchen nach einer Unterkunft. Ähnlich wie bspw. in der Mongolei, gibt es in Sibirien außer den großen, bekannten Städten kaum größere Ortschaften. Auch sind Hotels rar. Schließlich fanden wir einen Ersatz, konnten jedoch den Vermieter nicht erreichen. Irgendwann kontaktierten wir die Vermieterin der eigentlichen Wohnung mit Bitte um Hilfe und siehe da; prompt nahm sie sich unseres Problems an und organisierte uns weitere Alternativen und schaffte es sogar, den Vermieter zu erreichen, welcher uns gerne für eine Nacht aufnahm. Das neue Ziel wurde ins Navi eingegeben und wir tuckerten durch die Sibirische Dunkelheit.
Das Dorf, in dem wir nächtigen wollten, war geschätzt wenige Tausend Einwohner klein und besaß keine wirklichen Straßen, sodass wir über Feldwege und Geröll unseren Weg durch Bretterbuden und Zäune suchten. Das Kartenmaterial war fehlerhaft und manche „Straßen“ nicht passierbar. Was noch vor zwei Monaten Panik oder zumindest Unbehagen hervorrief, war für uns nun eher normal und so fragten wir einheimische Dorfbewohner mit Händen und Füßen, ließen sie vorfahren und erkundeten akribisch die Straßen vor Befahrung.
Schließlich schafften wir es zur Adresse und wurden mit Taschenlampensignalen auf das Grundstück gewiesen. Unsere Alternative stellte sich als Glücksgriff heraus. Im großen Garten einer Holzvilla stand das Ferienhaus mit Sauna und daneben ein Grill. Die vermeintliche Hausherrin verließ bei unserer Ankunft gerade das Holzhaus mit einem Staubsauger und der Gastgeber deutete uns, den Grill nutzen zu können.
Wir brachten unsere Sachen ins Haus und bereiteten das Essen vor. Mesi nahm sich dem durch den Vermieter angeheizten Grill an, während der Rest drinnen den den Geburtstagstisch herrichtete. Nebst Einhorn-Geburtstags-Papptellern und Hüten gab es auch noch die obligatorischen Kerzen mit Jahreszahl, Party-Hüte und ein Schwarzbrot als Kuchenersatz. Darüber hinaus wurde der Tisch mit allerlei Bildern aus der Heimat dekoriert, welche 19.000 km durch die Welt gefahren wurden.
Es wurde ein gemütlicher Abend am Kamin mit Zigarre auf der Verander und einem späten Saunagang.